Atomstaat abschalten

Nach dem „Kompromiss“ der einstigen rot-grünen Bundesregierung mit den Atomkonzernen schienen die Tage der Atomkraft in Deutschland gezählt. Mit dem Regierungswechsel zu Schwarz-Gelb tickten die Uhren dann anders: Die Laufzeiten wurden verlängert, der Salzstock Gorleben wird zurechterkundet bis er zur Endlagerung tauglich ist und die Castoren machen sich weiterhin auf den Weg quer durch die Republik.

Nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima zündete die Bundesregierung mit der Aussetzung der Laufzeitverlängerung eine Nebelgranate, um die Bevölkerung und vermutlich auch sich selbst zu beruhigen und ihre Ausgangssituation für die Vielzahl anstehender Wahlen zu verbessern.

Auf der Strecke bleibt dabei nicht nur eine zukunftsgerichtete Energiepolitik, sondern das Glücksversprechen der bürgerlichen Gesellschaft: Freiheit und Demokratie für ihre Bürger_innen. In der politischen Praxis ist das ohnehin nur eine hohle Phrase. An der sogenannten „friedlichen Nutzung“ der Kernenergie zeigt sich, dass die nukleare Option zwangsläufig mit der Ausschaltung jeder Form von Demokratie einhergeht. Atomstaat und demokratisches Gemeinwesen schließen sich aus!

Atomstaat heißt Überwachungsstaat

Mit dem Atomstaat ausgiebige Bekanntschaft gemacht hat in den siebziger Jahren einer seiner Protagonisten: Der Atommanager Klaus Traube. Seit den sechziger Jahren machte er Karriere in der Atomindustrie. Mitte der siebziger Jahre geriet er ins Visier der Verfassungsschutzbehörden, da er Kontakt zu Personen aus dem RAF-Umfeld hatte. Von da an galt er als politisch unzuverlässig und allein diese „Kontaktschuld“ reichte aus, um die Überwachungsmaschinerie in Gang zu setzen.

Was heute gang und gäbe ist, waren damals beispiellose Tabubrüche: Mehrfacher Einbruch in die Wohnung, um sie zu verwanzen und zu durchsuchen, Observation durch Polizei und Verfassungsschutz, Abhören anwaltlicher Gespräche, Datenaustausch zwischen Polizei und Geheimdienst, Verletzung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis‘. Dies selbstverständlich ohne rechtliche Grundlage und mit Billigung oder im Auftrag von Innen- und Justizministerium. Zunächst von den Sicherheitsbehörden aus „ermittlungstaktischen“ Gründen im Job gehalten, verlor er ihn später. Traubes Beispiel zeigt die ökonomische und sicherheitspolitische Symbiose von Atomindustrie, Sicherheitsbehörden und Staat. Alle haben ein Interesse an „Sicherheit“. Die einen wollen unbedingt vermeiden, dass atomares Wissen an die Konkurrenz weitergegeben wird. Die anderen wollen verhindern, dass atomares Wissen in politisch falsche Hände gerät. Und wenn man sich auf die nukleare Option erstmal eingelassen hat, ist es alles andere als abwegig, alles und jeden zu kontrollieren und zu überwachen. Es ist nun einmal eine Technologie, die in der Lage ist das Überleben der Menschheit zu gefährden. Allein dieser Charakter der nuklearen Option widerspricht einer demokratischen Vergesellschaftung jeglicher Form.

Wer glaubt, die Überwachungsmanie sei ein Stück aus der Vergangenheit kann schnell eines besseren belehrt werden: Im August 2010 wurde bekannt, dass die Sicherheitsbehörden versucht haben, eine Aktivistin aus dem Gorlebenwiderstand anzuwerben. Der Kontakt erfolgte über ihr privates Handy und die Herren, die sich mit BKA-Ausweisen identifizierten zeigten sich in jeder Hinsicht sehr gut informiert über ihre Kandidatin und die anstehenden Proteste in Gorleben. Über Ansprachen dieser Art, wird auch heute versucht, den Widerstand gegen das Atommüllendlager einzuschüchtern.

Im September 2010 erhielten Aktivisten aus dem Wendland eine freundliche Einladung in die Polizeikaserne Lüchow. Angesichts der zur erwartenden Proteste im November 2010 sollten sie sich zur erkennungsdienstlichen Behandlung melden. Dabei will die Polizei Abdrücke von Fingern und Handkanten nehmen sowie Fotos machen. Darüber hinaus ist das „Vermessen von Tätowierungen und anderen Körpermerkmalen wie z.B. Narben“ vorgesehen. Keine der Personen wurde jemals strafrechtlich belangt. Gegen keine der Personen liegt etwas vor. Auch hier geht es ausschließlich darum, demokratischen Protest einzuschüchtern und zu kriminalisieren.

Atomstaat heißt Polizeistaat

Stuttgart, im Oktober 2010. Ein Bahnhof soll umgebaut werden, ein Park dafür weichen, ein ganzes Stadtviertel umstrukturiert werden. Es regt sich Widerstand. Eine Schüler_innendemonstration wird von der Polizei brutal aufgelöst. Unter Wasserwerfer- und Tränengaseinsatz prügelt die Polizei auf alles was nicht schnell genug flüchten kann: Schüler_innen, Renter_innen, Umweltaktivist_innen, Linke und Konservative. Ein Demonstrant hat durch den Einsatz sein Augenlicht verloren. Die Öffentlichkeit reagiert empört auf diese „beispiellosen“ Prügelorgien. Beispiellos? Nicht wirklich. Der Beispiele gibt es viele: Antifademos und auch Antiatomdemos.

Anfang der achtziger Jahre soll in Brokdorf in Schleswig-Holstein ein AKW gebaut werden. Im Februar 1981 nehmen ca. 100.000 Menschen an der Demonstration gegen den Bau teil. Bei der bis zu diesem Zeitpunkt größten Demo gegen Atomkraft kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen, bei denen mehrere hundert Menschen von der Polizei verletzt werden. Im Oktober 1986 schließlich geht Brokdorf als erstes AKW nach Tschernobyl ans Netz.

Mitte der achtziger Jahre soll im bayerischen Wackersdorf eine Wiederaufarbeitungsanlage für abgebrannte Kernstäbe errichtet werden. Es kommt wie in Brokdorf zu heftigen Protesten. Noch heftigeren. Am 2. März 1986 stirbt eine Demonstrantin. Am 31. März 1986, nur einen knappen Monat vor Tschernobyl, demonstrieren auch in Wackersdorf mehr als 100.000 Menschen. Bei Konfrontationen mit der Polizei stirbt ein weiterer Demonstrant.

Doch der Atomstaat zeigt seine hässliche Fratze nicht nur, wenn es Tote gibt. Bei jedem Castortransport nach Gorleben, zuletzt im November 2011, kommt es zu massiven Polizeieinsätzen gegen Demonstrant_innen. Solche Bilder sind nicht schön und man möchte sie nach Möglichkeit vermeiden. Auch soll die Nuklearindustrie möglichst ungestört agieren können. Deshalb arbeiten der Staat und seine Hilfsbeamten lieber präventiv. Bei den letzten Transporten wurden ganze Landstriche um Gorleben herum per Allgemeinverfügung mit faktischen Demonstrationsverboten belegt. Wo das nicht ausreichte wurden nach Gutdünken Aufenthaltsverbote gegen diejenigen verhängt, bei denen vermutet wurde, sie hätten die Absicht zu demonstrieren. Schwerwiegende Indizien waren hierbei z.B. das Mitführen eines Schlafsacks, eines Zeltes oder eines Campingkochers. Und weil man in der Entwicklung der Repressionsspirale alles andere als schüchtern zu Werke geht, wurden in der Demonstrationsverbotszone auch alle Camps untersagt - auch auf privatem Gelände. Weil man einem Bauern aber nicht nach dem Demonstrationsrecht verbieten kann auf seinem Boden Campen zu lassen, muss dann halt die Bauordnung herhalten. Logischerweise geht es um diese keineswegs, sondern darum den Protest so effektiv wie möglich zu behindern.

Die Antwort bleibt Widerstand

Der Atomstaat ist alles andere als ein alter Hut. Die Methoden mögen sich verändert haben, aber der Fisch stinkt immer noch. Und Verdorbenes soll man wegwerfen. Das wird aber nicht mit neuen „Atomkompromissen“ gehen, sondern nur mit entschlossenem Widerstand!

Für eine sofortige Stillegung aller Atomanlagen — weltweit!
Flyer als PDF