Achtung Antiziganismus!

Aktuell ist in vielen Debatten immer wieder von Roma die Sprache, denen unter anderem Kriminalität oder sogenannter „Asylmissbrauch“ vorgeworfen werden. Diese Vorurteile können mit dem Begriff Antiziganismus beschrieben werden.

Antiziganismus ist ein Begriff, der die Diskriminierung und Verfolgung von Sinti und Roma, sowie anderer als „Zigeuner*innen“ bezeichneten Gruppen fasst. Die Verfolgungsgeschichte hat eine lange Tradition, die bis ins Mittelalter reicht und im nationalsozialistischen Massenmord ihren Höhepunkt fand. Es ist wichtig, daran zu denken, dass die Verfolgung der Sinti und Roma keine Erfindung der Nationalsozialist*innen war, sondern eine Fortführung einer Tradition mit den Mitteln der industriellen Massenvernichtung. Nach 1945 sind Sinti und Roma einer fortwährenden Diskriminierung ausgesetzt, die in der jahrzehntelangen Nicht-Anerkennung des Genozids durch die BRD, oder auch in den aktuellen Debatten um angebliche Flüchtlingsströme aus Südosteuropa ihren Ausdruck findet. Aber auch in der sich selbst als sozialistisch definierenden DDR war Antiziganismus ein gesellschaftliches Problem. Im folgenden Text soll das Phänomen des Antiziganismus im Zusammenhang mit der herrschenden Gesellschaftsform, dem Kapitalismus, betrachtet werden.

Was ist Kapitalismus?

Unter Kapitalismus verstehen wir nach Karl Marx eine Gesellschaftsform, in der der einzelne Mensch in einer „doppelten Freiheit“ lebt. Einerseits ist er nicht, wie im Feudalismus, der Leibeigene eines Grundherren, der über sein Leben entscheidet, sondern relativ frei in seinen Entscheidungen. Andererseits ist er auch frei von Besitz, mit dem er seinen Lebensunterhalt produzieren könnte. Der einzige Besitz, den er noch hat, ist seine Arbeitskraft, die der Mensch verkaufen muss, um einen Lohn dafür zu erhalten. Dadurch ist er gezwungen, Arbeiten zu übernehmen, an denen er eigentlich kein Interesse hat und an deren Gewinn er nicht beteiligt wird. Dies nennt Marx „entfremdete Arbeit“.

Was hat das nun mit dem Antiziganismus zu tun?

In Folge der Entstehung des Kapitalismus im späten 18. Jahrhundert gab es eine Vielzahl an Menschen, die wohnungslos wurden und deshalb zu Wanderarbeiter*innen wurden. In dieser gesellschaftlichen Schicht fanden sich auch Menschen, die aus der Not kriminell wurden oder desertierten. Diese umherziehende Lebensweise wurde mit den Sinti und Roma verbunden, so dass sich ein bestimmtes Bild des „Zigeuners“ formte. Diesem wurden bestimmte Eigenschaften, wie Kriminalität, zugeschrieben oder auch, bedingt durch die Entstehung der europäischen Nationalstaaten in der frühen Neuzeit, politische Unkontrollierbarkeit. Mit dieser Vorstellung der von Ort zu Ort ziehenden „Zigeuner*innen“, die ein unberechenbares Leben führen würden, verband sich auch der Vorwurf „arbeitsscheu“ zu sein. Wer im Kapitalismus nicht lohnarbeitet, gilt als ökonomisch unproduktiv und leistungsunwillig.

Bei diesen Vorstellungen spielen auch romantisierende Ideale des „lustigen Zigeunerlebens“ eine wichtige Rolle. In das Bild vom „Zigeuner“ fließen Gedanken an ein angeblich besseres Früher in einer Welt ohne Arbeitszwang ein, dass diese Menschen auch in der neuen Gesellschaft noch leben würden. Da es unmöglich scheint, sich der kapitalistischen Verwertung zu entziehen, wird ihnen dieses romantisierte Leben geneidet, was die Ablehnung gegenüber dieser Gruppe Menschen durch die Mehrheitsgesellschaft noch steigert. Was beim Antiziganismus nun entscheidend ist, ist dass sich diese soziale Diskriminierung mit einer rassistischen Weltsicht verbindet. Sinti und Roma gelten auf Grund ihrer Herkunft automatisch als arbeitsscheu und leistungsunwillig, als „asozial“. Diese Ethnisierung der angeblichen „Asozialität“ hat weitreichende Folgen für die Betroffenen. In Erzählungen berichten deutsche Sinti, dass sie ihre Herkunft verschweigen, weil sie sonst Angst haben, dass sie ihre Arbeit oder ihr Gewerbe verlieren könnten, weil ihre Kund*innen ihnen dann nicht mehr trauen würden. Die Vorstellung, dass Roma und Sinti per se kriminell seien, hat sich tief in das gesellschaftliche Denken eingegraben. Insbesondere in Zeiten gesellschaftlicher Krisen, in denen die Furcht vor sozialem Abstieg groß ist, taugen alte antiziganistische Vorstellungen dazu, abschreckend zu wirken. Die Drohung „Wer nicht arbeitet, wird asozial!“ entfaltet in solchen Krisen ihre größte Wirkung. Die Ablehnung zu Unsicherheit verdammter gesellschaftlicher Schichten hängt eng mit antiziganistischen Vorurteilen zusammen. Besonders deutlich wird dies bei der Debatte um „Hartz IV“-Empfänger*innen. Diesen wird in vielen Debatten und auch vielfach in der medialen Darstellung vorgeworfen, faul, unfähig, mitunter auch asozial zu sein. Diese Menschen werden, entsprechend antiziganistischer Vorwürfe, zur Unterschicht der Gesellschaft gemacht. Dies wird mit dem Hinweis verbunden, dass wer sich nicht verwerten lässt, und sei es zu den unerträglichsten Bedingungen, auch in diese Schicht rutschen würde.

Gesellschaft? Verändern!

Auch wenn die kapitalistische Gesellschaftsordnung mit Sicherheit nicht der einzige Faktor für Antiziganismus ist, lässt sich die Überwindung dessen nicht ohne die Überwindung der kapitalistischen Arbeitsethik und Verwertungslogik, also des Kapitalismus als solchem, denken. Dennoch wird die Abschaffung des Kapitalismus nicht automatisch zur Antiziganismus Abschaffung des führen. Wir Falken wollen diese gesellschaftlichen Verhältnisse abschaffen und laden alle dazu ein, sich mit uns Gedanken über eine andere, bessere Welt zu machen, in der niemand auf Grund von Herkunft, Geschlecht, Alter oder anderer persönlicher Eigenschaften diskriminiert wird. Denn die heutigen gesellschaftlichen Zustände werden wir nicht hinnehmen!

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Der Begriff „Zigeuner*in“ wird zumeist als verletzend und beleidigend von den so Bezeichneten empfunden. In diesem Text wird er dennoch benutzt, da er ein bestimmtes, von Vorurteilen geprägtes Bild bezeichnet und mit Sinti und Roma nicht unbedingt identisch ist. Antiziganismus ist besonders in der Asylpolitik sichtbar. Roma, die aus ihren Herkunftsländern fliehen, weil sie dort einer massiven rassistischen Verfolgung ausgesetzt sind, werden als sogenannte „Wirtschaftsflüchtlinge“ bezeichnet. Der Begriff soll aussagen, dass es sich bei diesen Menschen nicht um „echte“ Flüchtlinge handeln würde, die einen Anspruch auf Asyl haben. Sondern um Menschen, die sich in Deutschland ein komfortableres Leben ausrechnen würden und nun auf Kosten der „deutschen Gesellschaft“ hier leben wollten.

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